Forum

Bitte oder Registrieren, um Beiträge und Themen zu erstellen.

"Nietzsche als Denker der individuellen Befreiung"

Seite 1 von 2Nächste

Ich übernehme einfach mal ein Nietzsche-Zitat zum Thema aus dem Kapitel "Nietzsche als Denker der individuellen Befreiung" aus der sehr guten  Einführung in Nietzsches Denken; "Links-Nietzscheanismus" von Paul Stephan:

"Dass man ein öffentlicher Nutzen ist, ein Rad, eine Funktion, dazu giebt es eine Naturbestimmung: nicht die Gesellschaft, die Art Glück, deren die allermeisten bloss fähig sind, macht aus ihnen intelligente Maschinen. Für den Mittelmässigen ist mittelmässig sein ein Glück; die Meisterschaft in Einem, die Spezialität ein natürlicher Instinkt."

An diesen natürlichen Instinkt zur Mittelmässigkeit glaube ich nicht. Ich denke mir, dass es uns nur so erscheint, als seien die meisten "Fabrikware der Natur", wie Schopenhauer es so polemisch ausdrückte.

Ich glaube nicht, dass wir uns in unseren Träumen, den Phantasien, so sehr gleichen, wie es uns der "Verschleierungszusammenhang" suggeriert, wie es die Kulturindustrie von den Einzelnen verlangt. Es erscheint uns so, als müssten wir so sein, wie wir anscheinend sind, und doch sind wir immer ganz anders. Jeder Einzelne von uns ist ganz anders als er vielleicht denkt. Er (oder Sie) ist etwas Besonderes. Niemand ist wirklich mittelmässig, auch wenn es so aussehen mag. Jeder träumt doch seine eigenen sehr individuellen Träume, von denen er aber vielleicht gar nichts weiss.

Sehr naiv es so zu sagen, ich weiss.

Ich frage mich immer wie es sein kann, dass Nietzsche so stark dazu neigte die Individualität nur einzelnen "wohlgeratenen" Individuen zuzugestehen. Es ist schon irgendwie rätselhaft, wie oft seine lebhafte Phantasie, nicht dazu in der Lage ist, seinen sehr elitäre Weltanschauung zu sprengen.

"Amor fati!" oder "Werde der, der du bist!" Beide Sprüche haben, wenn man sie ganz eindimensional versteht auch einen etwas "einsperrenden" Sinn ( und Nietzsche lädt einen zu dieser Eindimemsionalität geradezu ein)

Es erscheint mir irgendwie oft so, als sei er der wirklichen Befreiung oft dort am nächsten, wo er nicht unbedingt mit dem Hammer philosophiert, vielleicht sich auch eher seine Schwäche eingesteht. (Nietzsche als Mystiker oder Romantiker?)

"Gedanken, die mit Taubenfüßen kommen, lenken die Welt." 

Diesen Aphorismus könnte man sicherlich auch auf die individuelle Welt der Gedanken und ihre Befreiung übertragen.

Wie kann man hier die Klippe des "Quietismus" umschiffen?

PS hat auf diesen Beitrag reagiert.
PS

Ja, ich kann dem nur zustimmen: Dass Nietzsche davon ausgeht, dass es einige wenige gibt, die von Natur aus zum Individualismus bestimmt seien, und die große Masse, die von Natur aus "Herdenmenschen" seien, ist ein riesiges Problem und überschattet seine gesamte Lehre von der individuellen Befreiung.

Wenn seine Entgegensetzung von "Raubtier-" und "Herdentrieb" überhaupt gibt, dann besitzt jeder Mensch beides und jeder Mensch kann potentiell ein freies Individuum werden. Wobei man sich, anders als Nietzsche, Befreiung eben nicht als "Befreiung vom Sozialen", sondern eher als "Befreiung im Sozialen" vorstellen sollte. Es ja nicht per se schlecht, den anderen gegenüber sensibel zu sein, Mitgefühl zu zeigen etc. In manchen Texten (nicht in allen) entwickelt Nietzsche ja geradezu die Vorstellung, dass jede soziale Regung Schwäche sei und das ist mE ein sehr pervertierter, kapitalistischer Begriff von individueller Freiheit.

Genau: Da wird Befreiung "eindimensional" und eine solche Befreiung erhält einen ganz verarmten Sinn. Wirkliche Freiheit kann es nur in einer befreiten Gesellschaft geben, in der alle Menschen frei sind und es keine "Sklaven" mehr gibt - das hat Nietzsche nie verstanden, er blieb darin extrem bürgerlich.

Und ja: Ich finde auch die Nietzsche-Passagen am besten, in denen er mal vom "Pathos der Stärke" abrückt und seine eher sensible Seite zeigt. Vor allem seine Gedichte sprechen in dieser Hinsicht oft eine ganz andere Sprache als viele seiner Aphorimen. Ganz großartig finde ich zum Beispiel dieses Gedicht:

 

An der Brücke stand

jüngst ich in brauner Nacht.

Fernher kam Gesang:

goldener Tropfen quoll’s

über die zitternde Fläche weg.

Gondeln, Lichter, Musik —

trunken schwamm’s in die Dämmrung hinaus…

 

Meine Seele, ein Saitenspiel,

sang sich, unsichtbar berührt,

heimlich ein Gondellied dazu,

zitternd vor bunter Seligkeit.

— Hörte Jemand ihr zu?…

***
Nietzsche ist m.E auch einer der genialisten Lyriker des 19. Jahrhunderts, diese Seite an ihm wird viel zu selten gewürdigt.

Und genau: Ich schätze an Nietzsche einerseits durchaus auch den kühlen Diagnostiker, aber auch die eher "mystischen" oder "romantischen" Passagen, die von der Nietzsche-Forschung meist übergangen werden. In meinem Buch scheint das hoffe ich immer wieder deutlich genug durch. Gerade die vielgeschmäte "Geburt der Tragödie" bietet in dieser Hinsicht einiges Potential, aber auch der in dieser Hinsicht ja sehr heterogene "Zarathustra".

Nietzsche hätte den Mut haben müssen, seine "schwache", sensible und "feminine" Seite stärker zu bejahen, dann wäre er womöglich auch nicht verrückt geworden - denn gerade sein Kult der Stärke nimmt in seinen letzten Texten ja geradezu absurde Züge zu.

 

Aber nun zu deiner Frage: Ja, von einem aktivistischen Standpunkt sieht es schon wieder ganz anders aus ... Für mich ist das auch eine Frage, die ich nicht zu  100 % zu beantworten weiß. Man muss ja durchaus auch "Krieger" sein und aktiv - ein Lob der Passivität auch mit einer sehr problematischen Depolitisierung verbunden sein.

Vielleicht hilft da wirklich die Vorstellung weiter, dass jeder Mensch eben beide Seiten in sich trägt und in ein Gleichgewicht bringen muss. Ein bisschen so wie C. G. Jungs Lehre von den beiden Seelenteilen - oder auch Nietzsches Lehre von der notwendigen Einheit vom Dionysischen und Apollinischen.

"Eine Partei des Lebens, vielfältig und diffus wie das Leben selbst, doch klaren Sinnes und von eiserner Disziplin, leidenschaftlich und volkstümlich, von Nietzscheschem Geist und von Marxen geschweißt, wird eine Gewalt sein, die alle Trumps und Macrons, alle Jinpings und alle von der Leyens, alle Bezos und Zuckerbergs, alle Sellners und Gaulands, alle Oligarchen und Ölscheichs hinwegfegen [...] wird." (Paul Stephan, Die Linke neu leben)
Zitat von PS am 7. September 2020, 14:44 Uhr

 

Wenn seine Entgegensetzung von "Raubtier-" und "Herdentrieb" überhaupt gibt, dann besitzt jeder Mensch beides und jeder Mensch kann potentiell ein freies Individuum werden.

.. ist das so, kann ein jeder Mensch potentiell ein freies Individuum werden?

  • "Jede Erhöhung des Typus »Mensch« war bisher das Werk einer aristokratischen Gesellschaft – und so wird es immer wieder sein: als einer Gesellschaft, welche an eine lange Leiter der Rangordnung und Wertverschiedenheit von Mensch und Mensch glaubt und Sklaverei in irgendeinem Sinne ..NÖTIG! .. hat."
  • Friedrich Nietzsche   ... Jenseits von Gut und Böse

 

.. oder ist es nicht tatsächlich  so,  wie hier von Nietzsche beschrieben , dass ein jedes Individuum sich prinzipiell  einer langen Leiter der Rangordnung und Wertverschiedenheit von Mensch und Mensch unter zu ordnen hat und demzufolge Sklaverei in irgendeinem Sinne und damit Unfreiheit  nötig hat.?

 

  • "Wir gleichen den eingefangenen Elephanten, die viele Tage entsetzlich toben und ringen, bis sie sehn, daß es fruchtlos ist, und dann plötzlich gelassen ihren Nacken dem Joch bieten, auf immer gebändigt. .. Daher kommt es, daß unzählige bleibende Uebel, wie Krüppelhaftigkeit, Armuth, niederer Stand, Häßlichkeit, widriger Wohnort, von Unzähligen ganz gleichgültig ertragen und gar nicht mehr gefühlt werden, gleich vernarbten Wunden, bloß weil diese wissen, daß innere oder äußere … NOTWENDIGKEIT ! .. hier nichts zu ändern übrig läßt"
  • Arthur Schopenhauer  .. Die Welt als Wille und Vorstellung

 

.. ist es nicht tatsächlich  so, wie hier von Schopenhauer beschrieben , dass wir einem solchen eingefangenen Elephanten gleichen. Einem Elefanten , der mit dem Wissen von inneren oder äußeren Nothwendigkeiten , dem Joch gelassen seinem Nacken bietet , um so auf immer gebändigt zu sein. Wenn denn ein jeder Mensch ein potentiell freies und glückliches Individuum werden kann , dann doch wohl eher in dem vergessen dessen , was ihn .in     .. „irgendeinem Sinne (Nietzsche)“ .. „notwendig (Schopenhauer) “ .. unfrei macht

Ganz im Sinne von ..

"Glücklich ist ,wer vergisst , was doch nicht zu ändern ist"

 

 

 

Ja, da widerspreche ich sowohl Schopenhauer als auch Nietzsche. Genau in solchen Passagen zeigt sich die reaktionäre Seite ihres Denkens.

Hier ginge es darum, sich nicht von einer vermeintlichen "Notwendigkeit" leiten zu lassen, sondern vom "Prinzip Hoffnung" (Bloch).

Schopenhauer und Nietzsche beschreiben hier den bisherigen Normalzustand der Welt - doch muss es wirklich immer so sein?

Gerade der Verkünder des "Übermenschen" enttäuscht da aus meiner Sicht. Und auch in Schopenhauers Hoffnung auf eine Selbstaufhebung des Willens scheint mir noch ein anderes, geradezu utopisches Element in seiner Philosophie enthalten zu sein.

"Eine Partei des Lebens, vielfältig und diffus wie das Leben selbst, doch klaren Sinnes und von eiserner Disziplin, leidenschaftlich und volkstümlich, von Nietzscheschem Geist und von Marxen geschweißt, wird eine Gewalt sein, die alle Trumps und Macrons, alle Jinpings und alle von der Leyens, alle Bezos und Zuckerbergs, alle Sellners und Gaulands, alle Oligarchen und Ölscheichs hinwegfegen [...] wird." (Paul Stephan, Die Linke neu leben)
  • "Jede Erhöhung des Typus »Mensch« war bisher das Werk einer aristokratischen Gesellschaft – und so wird es immer wieder sein: als einer Gesellschaft, welche an eine lange Leiter der Rangordnung und Wertverschiedenheit von Mensch und Mensch glaubt und Sklaverei in irgendeinem Sinne ..NÖTIG! .. hat."
  • Friedrich Nietzsche   ... Jenseits von Gut und Böse
  • "Wir gleichen den eingefangenen Elephanten, die viele Tage entsetzlich toben und ringen, bis sie sehn, daß es fruchtlos ist, und dann plötzlich gelassen ihren Nacken dem Joch bieten, auf immer gebändigt. .. Daher kommt es, daß unzählige bleibende Uebel, wie Krüppelhaftigkeit, Armuth, niederer Stand, Häßlichkeit, widriger Wohnort, von Unzähligen ganz gleichgültig ertragen und gar nicht mehr gefühlt werden, gleich vernarbten Wunden, bloß weil diese wissen, daß innere oder äußere … NOTWENDIGKEIT ! .. hier nichts zu ändern übrig läßt"
  • Arthur Schopenhauer  .. Die Welt als Wille und Vorstellung

Zitat von PS am 2. August 2021, 16:21 Uhr

Schopenhauer und Nietzsche beschreiben hier den bisherigen Normalzustand der Welt - doch muss es wirklich immer so sein?

 

 

… gute Frage

Ich antworte dir darauf einmal mit einen Zitat von Niklas Luhmann..

„Wenn es sich nicht selbst macht, ist es kein System.“

.. und um einmal darzulegen , in welchen Zusammenhang Luhmann diesen Satz formuliert hat …

  • Autopoiesis
  • Eine weitere wesentliche Voraussetzung für das Vorhandensein eines Systems ist die Fähigkeit, sich selbst (wieder-)herzustellen, also die Autopoiesis. Der Merksatz im Luhmannschen Sinne lautet: Wenn es sich nicht selbst macht, ist es kein System. Dabei bezog sich Luhmann auf das Konzept der chilenischen Neurobiologen Humberto Maturana und Francisco Varela. Diese wendeten das Konzept der Autopoiesis auf organische Prozesse an und meinten damit, dass Systeme sich mit Hilfe ihrer eigenen Elemente selbst herstellen. Lebewesen sind die ursprünglichen Beispiele für autopoietische Systeme. Für den Beobachter ereignet sich Leben von selbst, ohne dass ein äußerer herstellender Prozess eingreift. Luhmann überträgt dieses Konzept nicht nur auf biologische Systeme, sondern auch auf psychische Systeme und insbesondere soziale Systeme. Auch diese reproduzieren sich selbst mit Hilfe ihrer systemeigenen Operationen (zur weiteren Erklärung dieser Operationen: siehe unten) .

 

 

.. wenn Nietzsche davon spricht .. ich zitiere ..“so wird es immer wieder sein“ ,  so würde ich schon meinen , dass er damit Luhmanns These , dass  sich  psychische Systeme und insbesondere soziale Systeme mit Hilfe ihrer systemeigenen Operationen stets selbst reproduzieren vorweggenommen hat.

Insofern es um deine Hoffnung , dass es bezüglich der „lange Leiter der Rangordnung und Wertverschiedenheit von Mensch und Mensch"(Nietzsche) und der daraus resultierenden Unfreiheit irgendwann einmal anders sein wird, nicht besonders gut bestellt sein dürfte, es sei denn …

..

Hm, aber sozialen Wandel gibt es ja ganz offenbar. So geschlossen scheinen die System nicht zu sein.

"Eine Partei des Lebens, vielfältig und diffus wie das Leben selbst, doch klaren Sinnes und von eiserner Disziplin, leidenschaftlich und volkstümlich, von Nietzscheschem Geist und von Marxen geschweißt, wird eine Gewalt sein, die alle Trumps und Macrons, alle Jinpings und alle von der Leyens, alle Bezos und Zuckerbergs, alle Sellners und Gaulands, alle Oligarchen und Ölscheichs hinwegfegen [...] wird." (Paul Stephan, Die Linke neu leben)
Zitat von PS am 3. August 2021, 13:06 Uhr

Hm, aber sozialen Wandel gibt es ja ganz offenbar. So geschlossen scheinen die System nicht zu sein.

..  richtig,  einen sozialen Wandel gibt es   ganz offenbar   ..   ABER!  ..

  • "Jede Erhöhung des Typus »Mensch« war bisher das Werk einer aristokratischen Gesellschaft – und so wird es immer wieder sein: als einer Gesellschaft, welche an eine lange Leiter der Rangordnung und Wertverschiedenheit von Mensch und Mensch glaubt und Sklaverei in irgendeinem Sinne ..NÖTIG! .. hat."
  • Friedrich Nietzsche   ...JENSEITS!  ...  von Gut und Böse

...  ganz   sicher   ...  JENSEITS! .. dessen  ,  wovon    Nietzsche  meint ,   dass  der    Mensch   ... "Sklaverei in irgendeinem Sinne ..NÖTIG! .. hat."  Wo    hätte es   denn  jemals   eine  Gesellschaft   gegeben  ohne  ...  "eine lange Leiter der Rangordnung und Wertverschiedenheit von Mensch und Mensch".  Mir   ist   jedenfalls  keine  bekannt.

 

 

Da widerspreche ich Nietzsche. Interessanterweise gibt es sogar einen Brief von Köselitz an Nietzsche (KGB II/6,2, Bf. 1235), in dem er ihn auch schon damit konfrontiert: Sind es nicht demokratische und egalitäre Zeiten, in denen die Kultur blüht? Und wird sie von "aristokratischen Gesellschaften" nicht im Gegenteil gehemmt? Ich glaube, da hätte Nietzsche mal lieber auf seinen Freund hören sollen anstatt weiterhin an seiner sentimentalen Verklärung repressiver Gesellschaften festzuhalten.

In "aristokratischen Gesellschaften" blüht die Kultur zwar auch oft, aber dann in der Regel in den oppositionellen Kreisen, nicht in den morsch gewordenen Sykophanten-Milieus. Ausnahmen bestätigen die Regel.

(Wobei, klar: Man müsste sich einig darüber werden, was "kulturelle Blüte" genau bedeutet. Aber auch Nietzsche erkennt ja zB an, dass das demokratische Athen oder die römische Republik kulturelle Hochzeiten gewesen sind.)

Klar: Besonders förderlich ist auch eine repressiv-egalitäre Gesellschaft nicht. Aber selbst, wenn man an die SU und die DDR denkt, kam es da zu kulturellen Höchstleistungen - oft natürlich in Opposition zu diesen Gesellschaften.

Jedenfalls sind soziale Systeme doch nie geschlossen, sondern in ihnen existieren stets Spannungen, Reibungen und Widersprüche, die zu ihrer Weiterentwicklung oder sogar ihrem Zusammenbruch führen und dann zur Entwicklung eines neuen Systems.

Ja: Ein System, das sowohl freiheitlich als auch egalitär gewesen wäre, hat es dauerhaft noch nie gegeben. (Wobei die soziale Marktwirtschaft diesem Ideal schon relativ nahe kommt, muss man zugestehen.) - Aber was soll das beweisen? Das Verlangen danach ist ja offenbar vorhanden und möglich wäre es meines Erachtens prinzipiell.

"Eine Partei des Lebens, vielfältig und diffus wie das Leben selbst, doch klaren Sinnes und von eiserner Disziplin, leidenschaftlich und volkstümlich, von Nietzscheschem Geist und von Marxen geschweißt, wird eine Gewalt sein, die alle Trumps und Macrons, alle Jinpings und alle von der Leyens, alle Bezos und Zuckerbergs, alle Sellners und Gaulands, alle Oligarchen und Ölscheichs hinwegfegen [...] wird." (Paul Stephan, Die Linke neu leben)
Zitat von PS am 6. August 2021, 15:12 Uhr

Da widerspreche ich Nietzsche. Interessanterweise gibt es sogar einen Brief von Köselitz an Nietzsche (KGB II/6,2, Bf. 1235), in dem er ihn auch schon damit konfrontiert: Sind es nicht demokratische und egalitäre Zeiten, in denen die Kultur blüht? Und wird sie von "aristokratischen Gesellschaften" nicht im Gegenteil gehemmt?

… wo hätte  denn   jemals eine Gesellschaft geblüht , ohne .. „eine lange Leiter der Rangordnung und Wertverschiedenheit von Mensch und Mensch“( Nietzsche).

 

Wirtschaftslexikon   Die Hierarchie als System der sinnvollen Aufgabenverteilung

Die Hierarchie stellt ein System der Ordnung dar. Es geht dabei um eine grundlegende Systematik und um eine Über- bzw. Unterordnung zwischen organisatorischen Einheiten. Sowohl Organisationen als auch soziale Systeme beinhalten Hierarchien.

Unter dem Oberbegriff der Hierarchie verstecken sich im wirtschaftlichen Sinne verschiedene Arten:

  • Aufgabenhierarchie
  • Stellenhierarchie
  • Personenhierarchie
  • Zielhierarchie

 

Hat eine blühende Gesellschaft etwa keine Aufgaben- ,Stellen- ,Personen- und Zielhierarchie nötig? Reden wir bei dieser langen Leiter der Rangordnung und Wertverschiedenheit von Mensch und Mensch  nicht tatsächlich von einen notwendigen Übel .. ...

 

Der Staat ist ein notwendiges Übel – mehr nicht!

... Worte, die bereits 1954 gesprochen wurden, und zwar von Karl Raimund Popper:

Um die Notwendigkeit dieses Übels – des Staates – zu zeigen, berufe ich mich nicht auf Hobbes’ Ansicht: Homo homini lupus [Der Mensch ist des Menschen Wolf]. Im Gegenteil: diese Notwendigkeit kann selbst dann gezeigt werden, wenn wir die Ansicht Homo homini felix annehmen oder gar Homo homini angelus – mit anderen Worten die Ansicht, dass vor lauter Sanftheit oder vielleicht vor lauter engelhafter Güte niemand einem anderen Leid zufügen wird. Auch in so einer Welt würde es nämlich immer noch schwächere und stärkere Menschen geben,

Wie gesagt: Ich gehe auch nicht davon aus, dass es eine Gesellschaft ganz ohne "Rangordnungen" und "Wertunterschiede" geben kann. Aber es gibt sehr wohl Gesellschaften, die sich eher gemäß dem Ideal der Egalität und solche, die sich eher gemäß dem Ideal der Aristokratie orientieren. Und da scheint es mir empirisch schon so zu sein: "Aristokratien" sind meistens in Wahrheit korrupte Oligarchien mit einer bornierten Ideologie und einem entsprechenden verlogenen kulturellen Klima, in dem hübsche Pflanzen nur ausnahmsweise und in klarer Opposition zu diesem Milieu gedeihen können. Der Geist der Egalität hingegen erzwingt echte Anstrengung, um irgendwie hervorzustechen - das führt zu viel Verführunskunst, aber auch einem echten Wettbewerb der Ideen und kulturellen Konzepte und Ästhetiken. Mehr Menschen können am kulturellen Leben partizipieren und es dadurch bereichern, es gibt weniger Heuchelei und damit mehr Realismus in den kulturellen Werken.

Beispiele dafür bietet ja gerade die Antike: in Athen blühte die Kultur, in Sparta und dann später im Hellenismus siechte sie (vergleichweise); in der römischen Republik war die römische Kultur auf ihrem Höhepunkt, danach verfiel sie immer mehr und wurde von der christlichen abgelöst. Im Mittelalter waren die hauptsächlichen kulturellen Zentren die freien Städte und nicht die Fürstenhöfe - und für die Moderne gilt dasselbe. Auch Nietzsches Zeit etwa war eine der kulturellen Blüte (auch wenn Nietzsche das verkannte, war er ja selbst Teil von ihr, gewissermaßen ihr erster Spross) - weil Reformen zu mehr Demokratie und Egalität geführt hatten.

Aber man muss natürlich fragen: Was heißt "kulturelle Blüte" genau? Für mich vor allem, dass innovative neue Ideen entwickelt werden in großer Zahl.

"Eine Partei des Lebens, vielfältig und diffus wie das Leben selbst, doch klaren Sinnes und von eiserner Disziplin, leidenschaftlich und volkstümlich, von Nietzscheschem Geist und von Marxen geschweißt, wird eine Gewalt sein, die alle Trumps und Macrons, alle Jinpings und alle von der Leyens, alle Bezos und Zuckerbergs, alle Sellners und Gaulands, alle Oligarchen und Ölscheichs hinwegfegen [...] wird." (Paul Stephan, Die Linke neu leben)
Seite 1 von 2Nächste