Neben dem Links–Nietzscheanismus hat mich in den letzten Monaten ein anderes Thema verfolgt: dasjenige des Bartes in seiner philosophischen Bedeutungsdimension. Auch dieses Buch ist kürzlich in den Druck gehen und wird zur Leipziger Buchmesse vorliegen. Lustigerweise gab es zwischen beiden Schreibprojekten interessante, oft unerwartete Synergieeffekte, da zahlreiche nietzscheanische Autoren – es verwundert angesichts ihres gemeinsamen ‚Meisters‘ natürlich nur auf den ersten Blick – in einem besonderen Verhältnis zum Bart standen: einige, wie Kantorowicz oder Sartre (hier treffen sich interessanterweise Faschisten und Antifaschisten), lehnten ihn dezidiert als reaktionäres Symbol der Welt des 19. Jahrhunderts ab, andere wie Marcuse begrüßten ihn in Gestalt des Hippiebarts als Symbol antikapitalistischer Dissidenz, und dritte wie Bloch oder Adorno hatten ein gespaltenes Verhältnis zur ‚Gesichtsborste‘. Auch Nietzsche selbst äußert sich zum Bart in zwar eher positiver, aber doch gebrochener Weise, insofern er ihn als Maske begreift – die es jedoch gerade in ihrer Maskenhaftigkeit zu affirmieren gilt. Dieser ironischen Affirmation des Bartes gehe ich in meinem Buch im umfangreichsten aller Kapitel bis in die marginalsten Nachlassstellen hinein nach, es handelt sich fast um ein kleines ‚Buch im Buch‘ – und natürlich kommt auch Nietzsches ikonischer Schnauzer selbst nicht zu kurz. Ich zeige in dem Buch, dass selbst ein so scheinbar belangloses Alltagsding wie der Bart ein Politikum ist – und dafür dient mir Nietzsches Schnorres als Exempel par excellence, das wiederum auch Rückschlüsse auf Nietzsches politische Verortung insgesamt zulässt: einerseits kann der Bart durchaus als (womöglich unbewusste) modische Referenz an den von Nietzsche Zeit seines Lebens bewunderten Reichskanzler Bismarck verstanden werden, andererseits assoziiert ihn Nietzsche selbst mit seiner Bewunderung für die konsensdemokratisch verfasste Adelsrepublik Polen.
Wer wirklich die Tiefendimension meines philosophischen Ansatzes und somit auch das Links–Nietzscheanismus-Buchs, verstehen will, der sollte eigentlich beide Bücher parallel lesen – ja, im Grunde ist es sogar, man möchte es angesichts des Thema kaum glauben, so etwas wie seine philosophische Grundlegung; denn mit Nietzsche gehe ich davon aus, dass es oft die „kleinen Dinge“ sind, die uns die ‚großen Linien‘ erst hinreichend erfassen lassen.
Link zu einem zusammenfassenden Artikel auf dem Blog des FIPH (es fehlt hier allerdings noch das Tüpfelchen auf dem i, nämlich meine vor allem von Nietzscheanern wie Reich, Freud und Deleuze her inspirierte Analyse des Bartes als Gegenstand der libidinösen Ökonomie; ich benutze ihn sogar zu einer „Grundlegung einer Philosophie der sexuellen Moderne“)
Die Releaseveranstaltung am 12. März muss leider ausfallen wegen dem ganzen Coronavirus-Hype.