Das Interessanteste an Dugin ist, dass er wohl tatsächlich Einfluss mit seinen Ideen auf den Kreml ausübt und zahlreiche Schriften über geopolitische Strategien verfasst hat. Wer ihm zuhört, merkt schnell, dass er mit der philosophischen Tradition bestens vertraut und rhetorisch bestens geschult ist, eine wahre intellektuelle Kampfmaschine, die noch dazu eine reale politische Tendenz unserer Zeit treffend beschreibt. Er verficht dabei immer wieder einen radikalen Relativismus: Es gebe nicht die eine Wahrheit, sondern jede Kultur habe ihre eigene.
Wenn Putin davon spricht, dass in der heutigen Ukraine “Pseudowerte” herrschen würden und die Ukraine eigentlich ein Teil Russlands sei, ist das exakt im Sinne Dugins, der in den sozialen Medien dementsprechend auch eine aggressive Propaganda für den russischen Angriffskrieg betreibt.
Was man an Dugins Schriften vor allem entnehmen kann, ist ein scharfsinniges Aufspüren der Schwächen der liberalen Ideologie, die um das abstrakte Individuum und die Menschenrechte kreist. Auf Youtube gibt es ein interessantes Streitgespräch zwischen Dugin und dem französischen Philosophen Bernard-Henri Lévy (
Link), in dem sehr deutlich wird, wie schwach der liberale Humanismus Lévys im Vergleich dasteht.
Dass Leute wie Dugins den kulturellen Diskurs in Russland – anscheinend – bestimmen, zeigt deutlich, dass wir es hier mit einem neofaschistischen Regime, das nicht unbedingt rational im Sinne des liberalen “common sense” agiert, sondern auch kurzfristige ökonomische Nachteile in Kauf zu nehmen bereit ist, um dafür langfristige geopolitische Ziele (die Destabilisierung des Westens, vor allem der EU, und die Absicherung der russischen Einflusssphäre) zu realisieren. Dies macht das Putin-Russland zu einem gefährlichen Gegner, der tatsächlich bis zu einem gewissen Grad unberechenbar ist. Die intellektuellen Kreise im Kreml-Umfeld haben erkannt, dass sich der Großmachtstatus Russland nicht bewahren lässt, wenn es gemäß den westlichen Regeln spielt: Es ist ein Registerwechsel erforderlich, der Völkerrecht, Menschenrechte, die Regeln des rationalen Diskurses und sogar das Kriegsrecht und ökonomische Erwägungen völlig in den Wind schlägt.
Ein weiteres Mal firmiert sich hier in den Worten Georges Batailles eine bewaffnete “Heterogenität” gegen die “Homogenität” der liberalen Demokratien und das dürfte auch der Grund für die große Anziehungskraft sein, die Putin auf Leute aus dem Lager der Verschwörungsideologien ausübt, die jetzt allen Ernstes dazu übergehen, dessen Kriegspropaganda für die 100 %ige Wahrheit zu halten, währen das, was die westlichen Medien berichten ja nur “fake news” seien.
Was mir selbst die größten Sorgen bereitet, ist, dass es kaum Ansätze zu einer linken Alternative sowohl zum “Ethnopluralismus” als auch zum liberalen “Globalismus” (wenn man diesen Begriff verwenden möchte), gibt. Es bleibt bei Varianten eines “Links-Globalismus”, der aber die grundsätzlichen Schwächen des Liberalismus, die Leute wie Dugin teilweise adäquat analysieren, grundsätzlich teilt.
In Krisensituationen wie der jetzigen aber auch vor zwei Jahren zeigt sich die Abwesenheit einer solchen Alternative schlagend. Sie dürfte keine (ohnehin unmögliche) Synthese von “Ethnopluralismus” und “Globalismus” sein, sondern einen echten Weg jenseits beider Antipoden aufzeigen.
Generell scheint sich mir die Stärke einer politischen Philosophie daraus zu ergeben, inwiefern sie die Entwicklung konkreter politischer Strategien ermöglicht, die dann auch wirklich applizierbar sind. Dugins politische Philosophie besteht diesen Test – bei welcher konkurrierenden politischen Philosophie ist das heute der Fall? (Bei den liberalen Demokratien ist offensichtlich, dass sie in realiter immer wieder von ihren eigenen normativen Ansprüchen abweichen müssen, um sich in der Realität behaupten zu können. Aber man könnte, z.B. mit Bruno Latour, argumentieren, dass gerade in dieser strukturellen “Heuchelei” ihre große Stärke besteht.)
Im heroischen Widerstand der ukrainischen Zivilbevölkerung aber auch der globalen Welle der Solidarität mit den Menschen in der Ukraine scheint sich mir indes eine objektive Alternative bereits abzuzeichnen, die nicht einfach in einem “Links-Globalismus” aufgeht. Diese Bewegungen zeugen vom Unwillen der Menschen gegenüber einer Welt, in der solche Konflikte überhaupt möglich sind, ein echtes Verlangen nach wirklichem Frieden, der von dem “bewaffneten Frieden” der bürgerlichen Weltordnung qualitativ verschieden wäre.
Im zweiten Band meines Links-Nietzscheanismus-Buches, in dem Dugin zumindest kurz erwähnt wird, habe ich ein paar Gedanken dazu entwickelt, die dazu helfen könnte, diesen Krieg in seiner ideologischen Tiefendimension zu verstehen. Es handelt sich nicht einfach nur um einen prophanen “irdischen” Konflikt, sondern einen “Geisterkrieg” im Sinne Nietzsches, in dem sich einmal mehr beweist, dass das “Ende der Geschichte” noch lange nicht erreicht ist.
Die Frage, die sich heute stellt (aus diesem Buch zitiert): “Heißt ‹Lebensbejahung›, für eine ‹ethnopluralistische› Welt einzutreten – oder für die Vereinigung der Völker zu einer Weltrepublik?” In Kiew, Charkiw, Mariupol und der Ukraine insgesamt sowie an der “ideologischen Front” – dem “Geisterkrieg” zwischen Irrationalismus, abstraktem Rationalismus und “synthetisierender” Alternative einer anderen Vernunft – scheint mir derzeit, ohne dass es den Akteuren unbedingt bewusst wäre, über die konkrete Bedingung der Möglichkeit einer solchen “Weltrepublik” auf Jahrzehnte hinaus entschieden zu werden.
“Es ist ein Registerwechsel erforderlich, der Völkerrecht, Menschenrechte, die Regeln des rationalen Diskurses und sogar das Kriegsrecht und ökonomische Erwägungen völlig in den Wind schlägt”
P.S.
Ist mit diesem Registerwechsel womöglich Nietzsches Umwertung aller Werte gemeint ? Wenn ja , so wären das Völkerrecht, die Menschenrechte, die Regeln des rationalen Diskurses und sogar das Kriegsrecht und die ökonomische Erwägungen nicht völlig in den Wind zu schlagenm sondern deren Werte um zu Werten.
In aller Strenge geantwortet …
„ In aller Strenge geantwortet: eben der »Gute« der andren Moral, eben der Vornehme, der Mächtige, der Herrschende, nur umgefärbt, nur umgedeutet, nur umgesehn durch das Giftauge des Ressentiment. Hier wollen wir eins am wenigsten leugnen: wer jene »Guten« nur als Feinde kennen lernte, lernte auch nichts als böse Feinde kennen,“
Friedrich Nietzsche …Zur Genealogie der Moral
Ja genau, diesen “Registerwechsel” müsste man als nietzscheanische Umwertung interpretieren und Dugin beruft sich ja auch auf Nietzsche.
Für was ich plädiere, wäre ja auch ein “Registerwechsel” hin zu einer anderen Ordnung als dem “bewaffneten Frieden”, von dem Nietzsche spricht.
Es müsste jetzt eigentlich einen globalen Generalstreik verbunden mit einer Massendesertation geben.
Vielleicht wäre es eine echt-nietzscheanische Strategie in dieser Situation für das ukrainische Volk, auch wenn es verrückt klingt, das Kämpfen einzustellen und allein zivilen Ungehorsam zu praktizieren.
„Wir können nicht um unsre Ecke sehn: es ist eine hoffnungslose Neugierde, wissen zu wollen, was es noch für andre Arten Intellekt und Perspektive geben könnte: zum Beispiel ob irgendwelche Wesen die Zeit zurück oder abwechselnd vorwärts und rückwärts empfinden können (womit eine andre Richtung des Lebens und ein andrer Begriff von Ursache und Wirkung gegeben wäre)”
Friedrich Nietzsche .. Wir Furchtlosen
.. um jene Ecke gesehen , wäre der zivile Ungehorsam sicherlich eine Perspektive , um dem ganzen Geschehen in der Ukraine eine andere Richtung und ein anderen Begriff von Ursache und Wirkung zu geben. Nur leider können wir das nicht. Gefangen im hier und heute zählen wir ganz sicher nicht zu jenen Wesen , die abwechselnd vorwärts und rückwärts empfinden können.
Die Welt ist uns vielmehr noch einmal »unendlich« geworden: insofern wir die Möglichkeit nicht abweisen können, daß sie unendliche Interpretationen in sich schließt. Noch einmal faßt uns der große Schauder – aber wer hätte wohl Lust, dieses Ungeheure von unbekannter Welt nach alter Weise sofort wieder zu vergöttlichen? Und etwa das Unbekannte fürderhin als »den Unbekannten« anzubeten? Ach es sind zu viele ungöttliche Möglichkeiten der Interpretation mit in dieses Unbekannte eingerechnet, zu viel Teufelei, Dummheit, Narrheit der Interpretation – unsre eigne menschliche, allzumenschliche selbst, die wir kennen…
Friedrich Nietzsche .. Wir furchtlosen
Wesen, die in Folge dessen in der Lage sind von den ungöttlichen Möglichkeiten der Interpretationen , jene Unbekannten einzurechnen , die nicht auf eine solche Teufelei , Dummheit und Narrheit hinauslaufen , wie wir sie derzeit in der Ukraine erleben. So hätte man vorwärts empfindend wissen können , dass das mit einer rückwärts empfindenden Nato , wie auch mit einem rückwärts empfindenden Putin nur schief gehen konnte. Ganz so , als ob es die Wende von 1989 und den Untergang des real existierenden Sozialismus nie gegeben hat. Aus dieser Perspektive ist dieser Krieg ist ein Anachronismus.
Am kommenden Montag werde ich in einer von “Platypus” organisierten virtuellen Podiumsdiskussion meine Thesen zum Angriffskrieg auf die Ukraine und eine politische Antwort darauf ausführlicher darlegen: https://www.facebook.com/events/1111427096258176
Ausschließlich Deine Thesen oder Deine Thesen unter Bezugnahme auf Nietzsche? Wie meine Thesen unter einer solchen Bezugnahme aussehen , darüber kann man sich übrigens ganz aktuell hier im Forum in dem Thread „Putin, der Umwerter“ informieren.
Es geht vor allem um *meine* Thesen. Aber ich werde mich hier und auf Nietzsche berufen!
In dem ich einmal davon ausgehe das * deine * Thesen bezüglich dem Krieg in der Ukraine nahezu deckungsgleich mit den * Dialektikern * des Westens sind, Wohlgemerkt! .. so wie Nietzsche diesen Begriff interpretiert , so gehe ich einmal davon aus , dass du dich dazu bereitwillig in der Höhle von Platons Höhlengleichnis anketten lässt. Nach zu lesen im Forum unter „Putin der Umwerter“
„Ich begebe mich mit dieser Schrift gewissermaßen ins “Handgemenge” (Marx) und spitze bewusst zu, um zum Nachdenken und vor allem zum Fühlen und Handeln zu provozieren – eben so, wie es auch Nietzsche tut.“
Paul Stephan ..
Diese strikte Trennung zwischen dem , was derzeit in der öffentlichen Meinung Opportun ist und zwar ein * Halte Stand , orangenes Kiew * und dem worauf du dich offenbar nur ausschließlich hier auf Nietzsche beruft, zeugt ganz sicher nicht zu dem , wohin du dich hier begibst.
Hier der Link zur Diskussion auf Youtube.
https://www.youtube.com/watch?v=PiFxUcBxYqQ
„ den ich ich den Vogelgeist nennen möchte.öwir werden nicht nur vZeugebn von Krieg und Zerstörung, sondern auch der beeindruckenden Welle , dere globalen Solidarität, mit dem ukrainischen Volk … wir erleben gerade die beeindruckende Konstitution eines Weltvolks wie ich es nennen möchte.“
P.S. …https://www.youtube.com/watch?v=PiFxUcBxYqQ
.. also doch , wie zur Bestätigung von » Putin , der Außerirdische « der als solches die Menschheit als Weltvolk vereinigt. Nach zu lesen im Forum, unter der Rubrik „Politik“. Da gibt es nur ein bzw. zwei Probleme . Putin ist kein Außerirdische . Der ist , um auf eine Überschrift von Nietzsche zurück zu kommen , menschlich allzu menschlich und als solches dem zugeneigt , was Oswald Spengler als Cäsarismus bezeichnet. „Irrationale Umstülpung der Hegelschen Vorstellung , dass die Geschichte ein Weltgericht sei .. P.S.“ hin oder her. Eine menschlich allzu menschliche Neigung , die man übrigen insbesondere auch im real existierenden Sozialismus beobachten konnte. Das mal nur so nebenbei.
Weiterhin ist die Ukrainische Volk nicht die Menschheit. In meinem Szenario eines Weltvolks wird die Menschheit als Ganzes von Außerirdischen bedroht. Somit im übertragenem Sinn , die Außerirdischen in der Konfrontation mit der Menschheit in etwa das erwartet , was Putins Soldaten derzeit in Ukrane erleben und zwar einen brutalen Häuserkampf . Ich meine .. mit was ist denn zu rechnen , wenn man die Städte zu Festungen macht? Die „gute“ alte Feldschlacht , im offenen Gelände , wo sich .. die „Jugendblase“ ( https://www.youtube.com/watch?v=GWq01af0104 ) mehr oder weniger kontrolliert dezimiert ,ohne das die Zivilbevölkerung dabei in Mitleidenschaft gezogen wird, scheint offenbar außer Mode gekommen zu sein.
Ja, in gewisser Weise ist Putin ein “Außerirdischer”. Er ist nicht Teil derselben Welt wie wir. Genau deshalb ist der Krieg gegen die Ukrainer ein Krieg gegen uns alle. Es kann uns nicht kalt lassen, was dort geschieht. Es ist ein Verbrechen gegen die Menschheit!
„Was macht heute unsern Widerwillen gegen »den Menschen«? – denn wir leiden am Menschen, es ist kein Zweifel.“
Friedrich Nietzsche …Erste Abhandlung: »Gut und Böse«, »Gut und Schlecht«
Für jemanden wie mich, der nicht an Putin , sondern vielmehr am Menschen leidet , was als solches die „Menschen“ in der Ukraine, wie auch ist die des Westen mit einschließt , ist das kein Krieg gegen uns alle. Es ist ein Krieg unter Menschen und so unterdrücke auch ich an dieser Stelle einen Seufzer und eine letzte Zuversicht nicht. …
„Ich unterdrücke an dieser Stelle einen Seufzer und eine letzte Zuversicht nicht. Was ist das gerade mir ganz Unerträgliche? Das, womit ich allein nicht fertig werde, was mich ersticken und verschmachten macht? Schlechte Luft! Schlechte Luft! Daß etwas Mißratenes in meine Nähe kommt; daß ich die Eingeweide einer mißratenen Seele riechen muß! …
Auf einen Menschen, der den Menschen rechtfertigt, auf einen komplementären und erlösenden Glücksfall des Menschen, um deswillen man den Glauben an den Menschen festhalten darf!“.
Friedrich Nietzsche ….Erste Abhandlung: »Gut und Böse«, »Gut und Schlecht«
Als sog. “Trickster” ist P. wohl der Zwischenfall eines solchen Menschen.
Jede übermenschliche Sondergröße, den Raufhandel zw. Moskau und Kiew als Entgleisung von völkischen Schrullen bei zwei obskuren ostslawischen Offshore-Oligarchen abzutun: sowas hat sich der Westen halt abgeschminkt. Als unzeitgemäß, aka: unmenschlich.
Und jetzt blickt er in den Abgrund einer Ahnung,
sich verhoben zu haben; und der glotzt zurück.
Ist das nicht göttlich?
Von Gott* verlassen erscheint demgegenüber das ebenfalls orthodoxe Äthiopien, wo auch gerade umgeschmiedet und zurechgehämmert wird.
*säkular: vom Lichtkegel humanistischer Empathie
P.S.
Ich habe übrigens zu dem Video https://www.youtube.com/watch?v=PiFxUcBxYqQ .. mehrereKommentare abgegeben. Bisher leider keine Reaktion ..
Sie verstehen mich nicht: ich bin nicht der Mund
für diese Ohren.
Friedrich Nietzsche . Also sprach Zarathustra
..möglicherweise bin ja auch ich nicht der Mund für diese Ohren.
P. kerbt westl. cuttings zu Sollbruchstellen wo Team West eingerissen aufklafft, bzw. abgerissen daherkommt. Durch diverse intersektionale Schnitzer beim globalen heimleuchten zu Sozialer Gerechtigkeit.
Auf einem halben Kreuzweg der Emanzipation durch Eitelkeit vermittels ultimativer Weltsubjektwerdung: blutgrätscht ein kleiner Springteufel quer daher aus einer Kältekiste, wo man für Klimaerwärmung alles täte.
Souverän jazzt er Kiews Kriegsziele über jedes Westmachtformat.
Der hl. westl. Narrenschiff-Flotte macht er Welle sie aufzuschaukeln sich reif für neue Schleppkähne zu befinden. Bzw. sie hilfsweise auch zu entern, oder zu versenken.
Oder sie an ihrem Schlepptau aufzuhängen, wo es ihm zu verheddert ist.
Was gar nicht geht ist auf jeden Fall die Propaganda:
Ich wüsste nicht, dass im Mittelalter jemand behauptet hätte,
Attlia, die Geißel Gottes, hätte etwas für den Mittelstand getan.
Und einen Adorno, der vor Trunkenheit auf Molotow-Barrikaden im Atomzeitalter warnte, hob er doch genial auf, als er das Nukleare auf die Barrikade brachte. Den globalen Süden, eh’ ständig auf der Palme: freut’s.
Ich habe inzwischen eine umfassende Analyse des Ukraine-Kriegs verfasst, die manche aufgekommene Missverständnisse hoffentlich zurechtrücken wird:
https://blog.harp.tf/2022/03/11/im-geisterkrieg-der-angriffskrieg-gegen-die-ukraine-als-weltgericht-hegel/