Halt stand, orangenes Kiew!

inige Überlegungen zur aktuellen politischen Weltlage, der ideologischen Agenda Putin-Russlands und der Notwendigkeit einer ideologisch-politischen Alternative jenseits von westlichem Liberalismus und Ethnopluralismus der Neuen Rechten.

Der “Philosoph Putins” präsentiert Gedanken, die mehr oder weniger ein aktualisierender und auf Russland applizierter Abklatsch der Kernthesen der Denker der “Konservativen Revolution” sind, v. a. Julius Evolas. Es geht darum jenseits von Nationalismus und Faschismus eine neue politische Richtung zu definieren, die um die Existenz abgegrenzter “Kulturkreise” dreht, die es gegen den herrschenden “Globalismus” zu verteidigen bzw. wiederherzustellen gelte. Ziel sei eine “ethnopluralistische” neue Weltordnung, in der die Vormachtstellung des Westens gebrochen ist. Dabei soll jedoch innerhalb der einzelnen Kulturkreise auch soziale Gerechtigkeit realisiert werden. Eine nicht-moderne Welt jenseits der Dualismen moderner Gesellschaften, in der wieder straffe vertikale Hierarchien, traditionelle Bindungen und patriarchale Werte zum Zuge kommen.
Das Interessanteste an Dugin ist, dass er wohl tatsächlich Einfluss mit seinen Ideen auf den Kreml ausübt und zahlreiche Schriften über geopolitische Strategien verfasst hat. Wer ihm zuhört, merkt schnell, dass er mit der philosophischen Tradition bestens vertraut und rhetorisch bestens geschult ist, eine wahre intellektuelle Kampfmaschine, die noch dazu eine reale politische Tendenz unserer Zeit treffend beschreibt. Er verficht dabei immer wieder einen radikalen Relativismus: Es gebe nicht die eine Wahrheit, sondern jede Kultur habe ihre eigene.
Wenn Putin davon spricht, dass in der heutigen Ukraine “Pseudowerte” herrschen würden und die Ukraine eigentlich ein Teil Russlands sei, ist das exakt im Sinne Dugins, der in den sozialen Medien[1]Etwa auf Facebook. dementsprechend auch eine aggressive Propaganda für den russischen Angriffskrieg betreibt.
Was man an Dugins Schriften vor allem entnehmen kann, ist ein scharfsinniges Aufspüren der Schwächen der liberalen Ideologie, die um das abstrakte Individuum und die Menschenrechte kreist. Auf Youtube gibt es ein interessantes Streitgespräch zwischen Dugin und dem französischen Philosophen Bernard-Henri Lévy (Link), in dem sehr deutlich wird, wie schwach der liberale Humanismus Lévys im Vergleich dasteht.
Dass Leute wie Dugins den kulturellen Diskurs in Russland – anscheinend – bestimmen, zeigt deutlich, dass wir es hier mit einem neofaschistischen Regime, das nicht unbedingt rational im Sinne des liberalen “common sense” agiert, sondern auch kurzfristige ökonomische Nachteile in Kauf zu nehmen bereit ist, um dafür langfristige geopolitische Ziele (die Destabilisierung des Westens, vor allem der EU, und die Absicherung der russischen Einflusssphäre) zu realisieren. Dies macht das Putin-Russland zu einem gefährlichen Gegner, der tatsächlich bis zu einem gewissen Grad unberechenbar ist. Die intellektuellen Kreise im Kreml-Umfeld haben erkannt, dass sich der Großmachtstatus Russland nicht bewahren lässt, wenn es gemäß den westlichen Regeln spielt: Es ist ein Registerwechsel erforderlich, der Völkerrecht, Menschenrechte, die Regeln des rationalen Diskurses und sogar das Kriegsrecht und ökonomische Erwägungen völlig in den Wind schlägt.
Ein weiteres Mal firmiert sich hier in den Worten Georges Batailles eine bewaffnete “Heterogenität” gegen die “Homogenität” der liberalen Demokratien und das dürfte auch der Grund für die große Anziehungskraft sein, die Putin auf Leute aus dem Lager der Verschwörungsideologien ausübt, die jetzt allen Ernstes dazu übergehen, dessen Kriegspropaganda für die 100 %ige Wahrheit zu halten, währen das, was die westlichen Medien berichten ja nur “fake news” seien.
Was mir selbst die größten Sorgen bereitet, ist, dass es kaum Ansätze zu einer linken Alternative sowohl zum “Ethnopluralismus” als auch zum liberalen “Globalismus” (wenn man diesen Begriff verwenden möchte), gibt. Es bleibt bei Varianten eines “Links-Globalismus”, der aber die grundsätzlichen Schwächen des Liberalismus, die Leute wie Dugin teilweise adäquat analysieren, grundsätzlich teilt.
In Krisensituationen wie der jetzigen aber auch vor zwei Jahren zeigt sich die Abwesenheit einer solchen Alternative schlagend. Sie dürfte keine (ohnehin unmögliche) Synthese von “Ethnopluralismus” und “Globalismus” sein, sondern einen echten Weg jenseits beider Antipoden aufzeigen.
Generell scheint sich mir die Stärke einer politischen Philosophie daraus zu ergeben, inwiefern sie die Entwicklung konkreter politischer Strategien ermöglicht, die dann auch wirklich applizierbar sind. Dugins politische Philosophie besteht diesen Test – bei welcher konkurrierenden politischen Philosophie ist das heute der Fall? (Bei den liberalen Demokratien ist offensichtlich, dass sie in realiter immer wieder von ihren eigenen normativen Ansprüchen abweichen müssen, um sich in der Realität behaupten zu können. Aber man könnte, z.B. mit Bruno Latour, argumentieren, dass gerade in dieser strukturellen “Heuchelei” ihre große Stärke besteht.)
Im heroischen Widerstand der ukrainischen Zivilbevölkerung aber auch der globalen Welle der Solidarität mit den Menschen in der Ukraine scheint sich mir indes eine objektive Alternative bereits abzuzeichnen, die nicht einfach in einem “Links-Globalismus” aufgeht. Diese Bewegungen zeugen vom Unwillen der Menschen gegenüber einer Welt, in der solche Konflikte überhaupt möglich sind, ein echtes Verlangen nach wirklichem Frieden, der von dem “bewaffneten Frieden” der bürgerlichen Weltordnung qualitativ verschieden wäre.
Im zweiten Band meines Links-Nietzscheanismus-Buches, in dem Dugin zumindest kurz erwähnt wird, habe ich ein paar Gedanken dazu entwickelt, die dazu helfen könnte, diesen Krieg in seiner ideologischen Tiefendimension zu verstehen. Es handelt sich nicht einfach nur um einen prophanen “irdischen” Konflikt, sondern einen “Geisterkrieg” im Sinne Nietzsches, in dem sich einmal mehr beweist, dass das “Ende der Geschichte” noch lange nicht erreicht ist.
Die Frage, die sich heute stellt (aus diesem Buch zitiert): “Heißt ‹Lebensbejahung›, für eine ‹ethnopluralistische› Welt einzutreten – oder für die Vereinigung der Völker zu einer Weltrepublik?” In Kiew, Charkiw, Mariupol und der Ukraine insgesamt sowie an der “ideologischen Front” – dem “Geisterkrieg” zwischen Irrationalismus, abstraktem Rationalismus und “synthetisierender” Alternative einer anderen Vernunft – scheint mir derzeit, ohne dass es den Akteuren unbedingt bewusst wäre, über die konkrete Bedingung der Möglichkeit einer solchen “Weltrepublik” auf Jahrzehnte hinaus entschieden zu werden.

References

References
1 Etwa auf Facebook.

15 thoughts on “Halt stand, orangenes Kiew!”

  1. Seiltaenzery sagt:

    “Es ist ein Registerwechsel erforderlich, der Völkerrecht, Menschenrechte, die Regeln des rationalen Diskurses und sogar das Kriegsrecht und ökonomische Erwägungen völlig in den Wind schlägt”
    P.S.

    Ist mit diesem Registerwechsel womöglich Nietzsches Umwertung aller Werte gemeint ? Wenn ja , so wären das Völkerrecht, die Menschenrechte, die Regeln des rationalen Diskurses und sogar das Kriegsrecht und die ökonomische Erwägungen nicht völlig in den Wind zu schlagenm sondern deren Werte um zu Werten.

    In aller Strenge geantwortet …

    „ In aller Strenge geantwortet: eben der »Gute« der andren Moral, eben der Vornehme, der Mächtige, der Herrschende, nur umgefärbt, nur umgedeutet, nur umgesehn durch das Giftauge des Ressentiment. Hier wollen wir eins am wenigsten leugnen: wer jene »Guten« nur als Feinde kennen lernte, lernte auch nichts als böse Feinde kennen,“

    Friedrich Nietzsche …Zur Genealogie der Moral

  2. Thomas Holm sagt:

    P. kerbt westl. cuttings zu Sollbruchstellen wo Team West eingerissen aufklafft, bzw. abgerissen daherkommt. Durch diverse intersektionale Schnitzer beim globalen heimleuchten zu Sozialer Gerechtigkeit.

    Auf einem halben Kreuzweg der Emanzipation durch Eitelkeit vermittels ultimativer Weltsubjektwerdung: blutgrätscht ein kleiner Springteufel quer daher aus einer Kältekiste, wo man für Klimaerwärmung alles täte.

    Souverän jazzt er Kiews Kriegsziele über jedes Westmachtformat.

    Der hl. westl. Narrenschiff-Flotte macht er Welle sie aufzuschaukeln sich reif für neue Schleppkähne zu befinden. Bzw. sie hilfsweise auch zu entern, oder zu versenken.

    Oder sie an ihrem Schlepptau aufzuhängen, wo es ihm zu verheddert ist.

    Was gar nicht geht ist auf jeden Fall die Propaganda:

    Ich wüsste nicht, dass im Mittelalter jemand behauptet hätte,
    Attlia, die Geißel Gottes, hätte etwas für den Mittelstand getan.

    Und einen Adorno, der vor Trunkenheit auf Molotow-Barrikaden im Atomzeitalter warnte, hob er doch genial auf, als er das Nukleare auf die Barrikade brachte. Den globalen Süden, eh’ ständig auf der Palme: freut’s.

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