In meiner Broschüre Die Linke neu leben. Für einen linken Nietzsche heute spreche ich davon, dass der gemeinsame Gesang ein zentraler Bestandteil aller politischen Protestbewegungen ist und nehme wiederholt auf das Liedgut der linken Bewegung Bezug.
Jetzt ist es erneut an der Zeit, die Stimme zu erheben. Leider dürfen wir es nicht mehr gemeinsam auf der Straße tun und nicht einmal in geschlossenen Räumen – doch uns kann niemand daran hindern, ab jetzt jeden Tag um 18 Uhr das Lied Die Gedanken sind frei anzustimmen.
Das Lied passt perfekt in unsere aktuelle Situation: Wie im Vormärz sind unsere Grundrechte minimiert. Ja, sie sind sogar in einem historisch einmaligen Maße beschränkt. Wer dagegen protestiert, bekommt es mit der Staatsgewalt zu tun – kritische Stimmen werden angepöbelt, diffamiert und mundtot gemacht mittels abstruser Vorwürfe und Unterstellungen.
Das sollten wir uns nicht gefallen lassen!
Alle Maßnahmen gegen Corona müssen strikt auf ihre Verhältnismäßigkeit hin geprüft werden!
Das Mobbing, die Einschüchterung und die Zensur gegen kritische Stimmen darf nicht unwidersprochen bleiben!
Wehret den Anfängen!
Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht!
Nietzsche wusste, dass es der „Wille zur Selbstverantwortung“ (GD, Streifzüge, 38) ist, der ein wirklich freiheitliches Gemeinwesen kennezeichnet.
Wer einstweilen diffamierungsfrei über die Corona-Politik in all ihren Facetten diskutieren mag, für den habe ich im internen Bereich des Diskussionsforums auf dieser Internetseite einen einen „safe space“ eingerichtet. – Jeder Interessierte, der vorurteilsfrei über die massivsten Grundrechtbeschränkungen der Menschheitsgeschichte sachlich diskutieren will, ist willkommen, egal, was seine Meinung ist. – Es gibt jedoch Null Toleranz für Pöbeleien, Nazi-Vorwürfe und wirre „Verschwörungstheorie“-Unterstellungen, wie sie einem im Netz jetzt sofort massenhaft entgegenschlagen, wenn man auf seinen Grundrechten beharrt.
Ich habe inzwischen auch ein Flugblatt erstellt: https://www.dropbox.com/s/pr6an9ikzze2osm/Aufruf%20zum%20Singen.pdf?dl=0
Und hier die zentrale theoretische Stelle zur politischen Bedeutung des Singens aus meiner Broschüre (S. 7 f.):
„Die erste Stufe der Heilung besteht darin, sich bis zum Exzess in die Selbstverachtung und Selbstqual zu steigern, dem ‚Herren Nietzsche‘ voll-kommen Recht zu geben und anzuerkennen, dass man ein Sklave ist, der sich in einem Sklavenaufstand und im Ressentiment befindet. Doch natürlich würde es eine völlige Lähmung, einen hoffnungslosen Irrweg bedeuten, es bei dieser ersten Stufe zu belassen. Die zweite Stufe besteht darin, den ‚anderen Nietzsche‘ zu entdecken und sich von ihm lehren zu lassen, was es heißt, zu leben. Was das Leben ist, wie das Leben sein könnte, wie man dorthin kommt. Es geht darum, Größe zu lernen, Güte zu lernen, Freiheit und Liebe zu lernen – all das, was einem durch das Sklavendasein entzogen wird, ohne aus ihm je gänzlich verschwunden zu sein, weil es das Menschliche und vor allem das Übermenschliche ist. Natürlich muss man und sollte man sich nicht auf Nietzsche beschränken, um all das zu lernen. Das Leben selbst ist es und alle Zeugnisse des Lebens zeugen davon. Sobald die Sklaven während der Arbeit zu singen anfangen, werden sie lebendig.
Die dritte Stufe, darin besteht kein Zweifel, geht über alles von Nietzsche Gesagte hinaus und befindet sich im tiefen Widerspruch zu seiner Philosophie und seinem bürgerlichen Wesen. Sie besteht darin, nicht mehr nur bei der Arbeit, sondern beim Kampf zu singen. Nietzsche sieht die Arbeiter, die – angeblich – den Louvre plündern und empört sich über sie. Doch er verschließt die Augen – und vor allem: die Ohren – vor den Arbeitern, die die Marseillaise und die Internationale singen. Er sieht den Fürstenknecht Luther, doch er verschweigt den Propheten Müntzer. Er schwärmt von der attischen Tragödie und der Größe der attischen und römischen Republik: Doch er versteht nicht, dass eine solche Größe nur aus dem Feuer eines revolutionären Kampfes geschmiedet werden konnte. Er sieht nicht, dass seinem Ideal des ‚Übermenschen‘ niemand mehr entspricht als die revolutionären Volksmassen und ihre Führer, denen es gelingt, die wesentliche (und unvermeidliche) Kleinheit ihres Kampfes mit einer pathetischen und erotischen Größe in dieser Kleinheit zu vereinen. Wenn sich der Kampf ums Brot mit Heldenmut und mit Liebe verbindet: Dann entsteht eine solche Lebensenergie, dass aller Glanz der reaktionären Blendwerke, alle Perfektion der technischen Geräte, die im Besitze der Herren sind, alle Klugheit der von ihnen bezahlten Intellektuellen und alle ‚Schönheit‘ ihrer Hauskünstler verblasst und hinweggefegt wird. Dann tanzt das Volk auf der Straße, dann laufen die Söldner, Intellektuellen und Künstler scharenweise zum Volk über, dann schließen sich sogar die Herrschenden selbst dem Volk an.“
Es gibt jetzt einen längeren Artikel von mir zu dem Thema auf dem Blog des FIPH: https://philosophie-indebate.de/3614/indebate-corona-im-kontext/