Das arme Kind in der Badewanne
12. Juni 202012. Juni 2020
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„Die größte Gefahr der heutigen Linken besteht wahrscheinlich darin, in den Chor des postmodernen Nihilismus an vorderster Front einzustimmen und die herrschende Entwertung aller Werte sogar noch zu befördern.“ So beginnt der Teil e) des Schlusskapitels meines Buchs Links-Nietzscheanismus. Eine Einführung, der mit „Nietzsche und die Rettung der Metaphysik“ überschrieben ist.
Wenn man sich die Bilder aus den USA und der ganzen Welt anschaut, frage ich mich, ob es sich hier um eine bejahende Revolution handelt, oder eben um einen solchen Sklavenaufstand.
Ich gehe in dem Kapitel auch unmittelbar auf das Problem der Zerstörung von Kunstwerken ein, das mich schon seit längerem beschäftigt:
Erstens ist für Nietzsche der Zusammenhang zwischen Kultur und Macht derart grundlegend, dass er nicht einfach durch die Ausmerzung besonders greller Beispiele beseitigt werden kann. Im Gegenteil lässt sich aus einem nietzscheanischen Blick heraus mühelos die Entfernung solcher Beispiele als Versuch verstehen, über das wahre Ausmaß der Verschränkung von Kultur und Macht hinwegzutäuschen. Man benennt etwa Straßen um, die nach Kolonialherren des 19. Jahrhunderts heißen – was an sich begrüßenswert ist, jedoch übertüncht, dass der Wohlstand der westlichen Staaten bis heute auf den ‹Verdiensten› jener Menschen fußt und sich an der grundsätzlich kolonialen Verfasstheit der Welt nur wenig geändert hat. Ehrlicher wäre es, solche Male der Geschichte bewusst bestehen zu lassen und ggf., sofern für unbedingt nötig erachtet, mit erklärenden Kommentaren zu versehen.
Diese Kritik trifft meines Erachtens das Gros der derzeitigen Ikonoklastik, zumal es sich sich hierbei offensichtlich um das alte Spiel des progressiven Neoliberalismus handelt: Symbolisch mitunter sehr radikale Zugeständnisse an die unzufriedenen Minderheiten, real wenige bis keine.
Man wird bei allen historischen Persönlichkeiten irgendwelche Makel finden – niemand, der in der Geschichte eine wichtige Rolle spielte, hat saubere Hände. Ich frage mich, wo man mit der Denkmal-Zerstörerei anfangen und wo aufhören will. Es gibt banale Beispiele, die weitgehend unkontrovers sind: Einen Adolf-Hitler-Platz will beispielsweise niemand mehr haben. Allerdings stellt sich sogar hier die Frage: Wäre es nicht ein Zeichen wirklich ehrlichen Gedenkens, an allen Plätzen in Deutschland, die einmal diesen Namen trugen, einen entsprechenden Hinweis zu montieren: „Ehem. Adolf-Hitler-Platz“? Wäre das nicht eine viel stärkere, viel mehr Mut erfordernde Geste als die zahllosen „Stolpersteine“ und sonstige Denkmale?
Selbst bei Leuten wie Stalin müsste man sich dann auch wieder fragen: Ist Stalin zwar als Diktatur zu verdammen, als Feldherr der Sowjetunion im Kampf gegen Hitler nicht jedoch zu Recht zu feiern?
Genau dieser Mangel an Differenzierung zeigt sich in der Protestbewegung auch in anderer Hinsicht – er manifestiert sich als gravierende kognitive Dissonanz, wenn man etwa einerseits gegen „die Polizei“ ist, andererseits aber doch dankbar dafür ist, dass die von derselben Polizei durchgesetzten Schutzmaßnahmen die Corona-Pandemie eindämmten – Schutzmaßnahmen, die man nun wiederum massenhaft bricht.
Die Gefahr besteht so oder so darin, dass mit der Schleifung solcher kulturellen Artefakte stets auch das Bessere getilgt wird, das in ihnen immer auch enthalten ist (und sei es, wie im Fall des AH-Platzes, als Erinnerung an die Überwindung seiner Herrschaft):
Zweitens bedeutet die Verschränkung von Kultur und Macht aber auch, dass sich in der Kultur stets der Machtkampf manifestiert: Sie ist stets Ausdruck der Triumphe der Herren – aber auch der Hoffnungen der Sklaven.
Was wird als nächstes kommen? Wird man in Washington DC alle Denkmäler bis auf dasjenige Martin Luther Kings schleifen (wobei ja auch der sicherlich in der einen oder anderen Situation unmoralisch gehandelt hat)? Muss man alle Denkmäler für Christoph Kolumbus sprengen? Was würde von den USA übrig bleiben?
In diesem älteren Blog-Artikel (http://blog.harp.tf/2016/08/08/die-kunst-im-zeitalter-ihrer-zerstoerung/) habe ich, soweit mich erinnere, zum ersten Mal die Frage nach einer Ethik des Ikonoklasmus gestellt. Im Fokus steht dabei, damals aktuell, der „Islamische Staat“, doch diese Überlegungen lassen – traurig genug – auch auf die aktuellen Akte des Vandalismus beziehen. Teile der BLM-Bewegung und den Islamismus eint leider der Hass auf die okzidentale Kultur und ihre bildlichen Repräsentationen.
Freilich sollte aus diesem Text deutlich werden, dass es mir keinesfalls um eine kulturkonservative Kritik am Ikonoklasmus geht: Es wäre meines Erachtens zwischen einem ressentimenthaften Ikonoklasmus und einem bejahenden zu unterscheiden. Der ressentimenthafte Ikonoklasmus vertilgt mit dem Kunstwerk auch das in ihm enthaltene Bessere – der bejahende will das in ihm enthaltene Bessere gerade freisetzen, das im Kunstwerk aufgehobene Glücksversprechen gerade realisieren.
Ikonoklasmus ist an sich nichts Schlechtes, sondern notwendiger Bestandteil jedweder kulturellen Veränderung. Jedes Kunstwerk gleichermaßen für bewahrenswert zu halten, wäre gerade ein verdinglichender Zugang zur Kunst. Jedes Kunstwerk für gleichermaßen vertilgenswert zu halten kann demgegenüber eine bejahende Position sein, die dem Sinn von Kunst gerade gerecht wird: ein für die ästhetische Moderne konstitutiver Gedanke.
(Mehr zum Verhältnis von nietzscheanischer Kunstkritik und ästhetischer Moderne gibt’s im zweiten Band des Links-Nietzscheanismus-Buchs.)